Im Mai 1992 schlug's dreizehn!
Dreizehn Theaterproduktionen wurden zum 13. Theatertreffen der Jugend
nach Berlin eingeladen. Trotz der Unglückszahl geschah nicht das Ungewöhnliche:
Keine Uhr schlug dreizehn. Alles blieb ganz normal. Es hatten sich
lediglich 13 mal 13 Gruppen, zum Teil mit zwei Produktionen, also
insgesamt 171, aus allen Bundesländern und der Schweiz (Deutsche Schule
Genf) beworben.
Baden-Württemberg, Berlin
und Nordrhein-Westfalen waren mit 20 und mehr Bewerbungen vertreten.
Aus Bayern, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen und Sachsen hatten
sich jeweils mehr als 10 Gruppen gemeldet. Die neuen Bundesländer
waren mit insgesamt 36 Angeboten am Wettbewerb beteiligt. Von den
Schularten entsandte das Gymnasium die meisten Gruppen (66), dicht
gefolgt von 58 außerschulischen Gruppen. Die anderen Schultypen waren
jeweils nur mit bis zu 12 Gruppen vertreten.
Das Treffen fand im östlichen
Teil Berlins, im Bezirk Prenzlauer Berg, statt und ermöglichte auf
diese Weise den aus westlichen Bundesländern Anreisenden, einen letzten
Hauch von DDR-Charme zu erhaschen. Zum guten Wetter bot der Ernst-Thälmann-Park
seinen Rasen als idealen Ort für heiße Diskussionen, sportliche und
akrobatische Kunststückchen und zum szenegemäßen Relaxen an. Die Gruppen
fanden schnell zueinander, Ost und West spielten keine Rolle mehr,
mecklenburgische Laute brachen sich an rheinischen Klängen, bayerischer
Vokalreichtum konferierte mit hessischer Gemütlichkeit, das türkische
Ü von Gürbüz, Gülay, Hülya oder Hüseyin wechselte akzentfrei in Berliner
Sound. Das Pendeln durch den Park, vorbei am kolossalen Thälmann Gestein,
von der einen Spielstätte, dem Puppentheater in der Greifswalder Straße,
hin zur "Wabe" an der Dimitroffstraße sorgte für die nötige Entspannung.
Die war nötig, wenn man Kopf und Körper frei halten wollte für das
dichte Programm aus Werkstätten, Aufführungen und Gesprächen.
In der Farbigkeit des Programms
vorherrschende Farbtöne entdecken zu wollen hieße durch entsprechend
gefärbte Brillen zu sehen. Die Absicht der Juroren, eine Vielfalt
der Formen und Themen zu präsentieren, gelang und sorgte für erfrischende
Abwechslung, die be der tropischen Wärme auch notwendig war. Die Besprechung
der Produktionen folgt dem Ablauf des Programms und verdeutlicht so
die Vielgestaltigkeit des Theatertreffens der Jugend, wie es sich
1992 in Berlin präsentierte.
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(...)
Im Reiche des Prinzen Prospero
wütet eine tödliche Seuche, der bereits die Hälfte der Bewohner seines
Reiches zum Opfer gefallen ist. Der Herrscher selbst hat sich mit
1000 Gästen in sein Schloss zurückgezogen und lebt dort in Saus und
Braus. Auf dem Höhepunkt eines Maskenballs erscheint ein Fremdling
in der schockierenden Maske des Roten Todes. Als keiner dem Befehl,
den Maskenträger zu verhaften, folgen will, greift der Fürst selber
ein und stürzt tot zu Boden. Anschließend hält der Rote Tod "grenzenlose
Herrschaft über alle".
Soweit die Inhaltsangabe
einer parabolischen Erzählung von Edgar Allan Poe, die sich die Gruppe
"The Wild Bunch" vom Robert-Koch-Gymnasium in Berlin, erweitert um
Motive aus Poes Erzählung "Das ovale Portrait", als Ausgangsmaterial
für eine Inszenierung gewählt hatte. Geboten wurde eine atmosphärisch
dichte Folge von expressiven, grauenhaft komischen Bildern, die nicht
nur irgend eine vergangene Geschichte erzählten, sondern jeden Zuschauer
darauf hinwiesen, daß auch er als Teilnehmer einer wüsten Maskerade
sich die Augen vor einem Unvermeidlichen, das jeder für sich anders
konkretisieren dürfte, verschließt.
Die Balance zwischen komisch
groteskem Spiel und ernst gemein tem Inhalt geriet trotz oder auch
gerade wegen der furiosen Spielfreude nicht ins Wanken. Farbenprächtige
Bilder glitten in sauberen Choreographien und mit bezauberndem Spielwitz
an den Betrachtern vorbei. Das Spiel geriet zu einer überzeugenden
Demonstration für ein Theater der Bilder, das sich des Textes nur
peripher bedienen muß und so dem Schaucharakter des Theaters, dem
Schau-Spiel, besonders gerecht wird.
Hier wurde allen Spielleitern,
die glauben, nur anhand von dramatischen Texten mit Jugendlichen Theater
spielen zu können, ein überzeugendes Exempel statuiert, daß es auch
anders und zwar besser geht. In Improvisationen hatten sich die Spielerinnen
und Spieler einzelne Sätze, Situationen oder Episoden erarbeitet und
allmählich zu einem Stück geformt, das - diese kritische Anmerkung
sei gemacht - in der Komposition der einzelnen Elemente und Etüden
noch nicht in allen Phasen zu einem geschlossenen Ganzen gerundet
war.
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Der Verzicht auf Requisitenbastelei
forderte das Erspielen der spielnotwendigen Gegenstände. Wie leicht
ist es doch, einen Spieler "Ich bin ein Kamin!" "Ich bin ein Bärenfell!"
"Ich bin ein Schlosstor!" sagen und spielen zu lassen! Und doch welch
ein Mut und welche Bereitschaft sind gefordert, auf eitle Selbstdarstellung
zu verzichten! Und wieviel Training gehört doch dazu, eine überzeugende
Lösung zu finden und auszuspielen! Dennoch legte "Der wilde Haufen"
mit seiner spielerischen Leichtigkeit allen Spielfreunden nahe, es
auf diese Weise einmal zu versuchen. Wer gesehen hat, wie faszinierend
einfach eine Mauer gespielt werden kann, die einem vor dem Tode verzweifelt
Fliehenden den Zugang zum Schloß versperrt und ihn schließlich unter
sich begräbt, weiß, welches Spielpotential hier freigesetzt wurde.
Die intensive Körpersprache,
gepaart mit entsprechender Mimik und Gestik, wurde unterstützt von
einer eindrucksvollen Bühnenmusik, die auf das Spiel reagierte und
es begleitete, interpretierte oder verdeutlichte. Mit Geige, Klavier,
Gitarre und Baß wurden Klänge erzeugt, die Todesangst, Verzweiflung
und Ausgeliefertsein dem lebenslustigen, höfischen Treiben gegenüberstellten,
die den oft komisch ausgespielten Episoden den als Botschaft intendierten
tragischen Ernst unterlegten.
(...)
Frank
Herdemerten
Dokumentation zum 13. Theatertreffen der Jugend in Berlin, 1992
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