Kritiken

 

Theatertreffen der Jugend 1992
Die Jury über ihre Auswahl

Die West-Berliner Gruppe "The Wild Bunch" des Robert-Koch Gymnasiums zeigt mit ihrer Eigenproduktion "Die Maske des roten Todes" ein faszinierendes Stück eigenen Stils / eigener Art. Mit bemerkenswerter Sicherheit versteht es das Ensemble, mit reduzierten Mitteln Bilder zu schaffen, die ausdrucksstark and spannend sind.
Interessant ist die wechseiseitige Integration von Spiel and Musik. Mit ihren Improvisationen reagieren die Musiker sensibel auf das Bühnengeschehen and übersetzen so das Spiel.
Überzeugend ergänzen sich die oft auf Klangeffekte reduzierte Musik und die Ästhetik der poetisierten Bilder zu einer gemeinsamen Komposition, die Virtuosität zeigt, Dramaturgie manchmal vernachlässigt.
Was fasziniert, ist ihr über lange Jahre tradiertes handwerkliches Können, das ihren eigenen Stil prägt.
Sie stellen ihre karikierten Typen mit expressiver Körpersprache dar, die ihr Sprechen in den Hintergrund treten läßt und mit der sie manchmal entfernt an die "Commedia dell' arte" erinnern. Ein hohes Maß an Bewußtheit in der Gestaltungskraft ihrer Bilder bewirkt ein harmonisches Ganzes von SpielerIn und seinm/ihrem oft sehr schlichten, auf Wesentliches beschränkten Kostüm. So nehmen sie den Zuschauer mit in den Genuß ihrer eigenständigen Ästhetik. Hinter ihrer Verliebtheit in Bilder tritt die Geschichte, die sie erzählen wollen, in den Hintergrund. Sie entlassen den Betrachter weniger mit der Betroffenheit über Ekel und Grauen in ihrer Erzählung, sondern eher mit der Freude und Unterhaltung an einem grotesken Schau-Spiel im besten Sinne des Wortes, das eher eine Liebe zum Menschen transportiert.

R. Kwisthout


Bericht über das 13. Theatertreffen der Jugend in Berlin

Im Mai 1992 schlug's dreizehn! Dreizehn Theaterproduktionen wurden zum 13. Theatertreffen der Jugend nach Berlin eingeladen. Trotz der Unglückszahl geschah nicht das Ungewöhnliche: Keine Uhr schlug dreizehn. Alles blieb ganz normal. Es hatten sich lediglich 13 mal 13 Gruppen, zum Teil mit zwei Produktionen, also insgesamt 171, aus allen Bundesländern und der Schweiz (Deutsche Schule Genf) beworben.

Baden-Württemberg, Berlin und Nordrhein-Westfalen waren mit 20 und mehr Bewerbungen vertreten. Aus Bayern, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen und Sachsen hatten sich jeweils mehr als 10 Gruppen gemeldet. Die neuen Bundesländer waren mit insgesamt 36 Angeboten am Wettbewerb beteiligt. Von den Schularten entsandte das Gymnasium die meisten Gruppen (66), dicht gefolgt von 58 außerschulischen Gruppen. Die anderen Schultypen waren jeweils nur mit bis zu 12 Gruppen vertreten.

Das Treffen fand im östlichen Teil Berlins, im Bezirk Prenzlauer Berg, statt und ermöglichte auf diese Weise den aus westlichen Bundesländern Anreisenden, einen letzten Hauch von DDR-Charme zu erhaschen. Zum guten Wetter bot der Ernst-Thälmann-Park seinen Rasen als idealen Ort für heiße Diskussionen, sportliche und akrobatische Kunststückchen und zum szenegemäßen Relaxen an. Die Gruppen fanden schnell zueinander, Ost und West spielten keine Rolle mehr, mecklenburgische Laute brachen sich an rheinischen Klängen, bayerischer Vokalreichtum konferierte mit hessischer Gemütlichkeit, das türkische Ü von Gürbüz, Gülay, Hülya oder Hüseyin wechselte akzentfrei in Berliner Sound. Das Pendeln durch den Park, vorbei am kolossalen Thälmann Gestein, von der einen Spielstätte, dem Puppentheater in der Greifswalder Straße, hin zur "Wabe" an der Dimitroffstraße sorgte für die nötige Entspannung. Die war nötig, wenn man Kopf und Körper frei halten wollte für das dichte Programm aus Werkstätten, Aufführungen und Gesprächen.

In der Farbigkeit des Programms vorherrschende Farbtöne entdecken zu wollen hieße durch entsprechend gefärbte Brillen zu sehen. Die Absicht der Juroren, eine Vielfalt der Formen und Themen zu präsentieren, gelang und sorgte für erfrischende Abwechslung, die be der tropischen Wärme auch notwendig war. Die Besprechung der Produktionen folgt dem Ablauf des Programms und verdeutlicht so die Vielgestaltigkeit des Theatertreffens der Jugend, wie es sich 1992 in Berlin präsentierte.

(...)

Im Reiche des Prinzen Prospero wütet eine tödliche Seuche, der bereits die Hälfte der Bewohner seines Reiches zum Opfer gefallen ist. Der Herrscher selbst hat sich mit 1000 Gästen in sein Schloss zurückgezogen und lebt dort in Saus und Braus. Auf dem Höhepunkt eines Maskenballs erscheint ein Fremdling in der schockierenden Maske des Roten Todes. Als keiner dem Befehl, den Maskenträger zu verhaften, folgen will, greift der Fürst selber ein und stürzt tot zu Boden. Anschließend hält der Rote Tod "grenzenlose Herrschaft über alle".

Soweit die Inhaltsangabe einer parabolischen Erzählung von Edgar Allan Poe, die sich die Gruppe "The Wild Bunch" vom Robert-Koch-Gymnasium in Berlin, erweitert um Motive aus Poes Erzählung "Das ovale Portrait", als Ausgangsmaterial für eine Inszenierung gewählt hatte. Geboten wurde eine atmosphärisch dichte Folge von expressiven, grauenhaft komischen Bildern, die nicht nur irgend eine vergangene Geschichte erzählten, sondern jeden Zuschauer darauf hinwiesen, daß auch er als Teilnehmer einer wüsten Maskerade sich die Augen vor einem Unvermeidlichen, das jeder für sich anders konkretisieren dürfte, verschließt.

Die Balance zwischen komisch groteskem Spiel und ernst gemein tem Inhalt geriet trotz oder auch gerade wegen der furiosen Spielfreude nicht ins Wanken. Farbenprächtige Bilder glitten in sauberen Choreographien und mit bezauberndem Spielwitz an den Betrachtern vorbei. Das Spiel geriet zu einer überzeugenden Demonstration für ein Theater der Bilder, das sich des Textes nur peripher bedienen muß und so dem Schaucharakter des Theaters, dem Schau-Spiel, besonders gerecht wird.

Hier wurde allen Spielleitern, die glauben, nur anhand von dramatischen Texten mit Jugendlichen Theater spielen zu können, ein überzeugendes Exempel statuiert, daß es auch anders und zwar besser geht. In Improvisationen hatten sich die Spielerinnen und Spieler einzelne Sätze, Situationen oder Episoden erarbeitet und allmählich zu einem Stück geformt, das - diese kritische Anmerkung sei gemacht - in der Komposition der einzelnen Elemente und Etüden noch nicht in allen Phasen zu einem geschlossenen Ganzen gerundet war.

Der Verzicht auf Requisitenbastelei forderte das Erspielen der spielnotwendigen Gegenstände. Wie leicht ist es doch, einen Spieler "Ich bin ein Kamin!" "Ich bin ein Bärenfell!" "Ich bin ein Schlosstor!" sagen und spielen zu lassen! Und doch welch ein Mut und welche Bereitschaft sind gefordert, auf eitle Selbstdarstellung zu verzichten! Und wieviel Training gehört doch dazu, eine überzeugende Lösung zu finden und auszuspielen! Dennoch legte "Der wilde Haufen" mit seiner spielerischen Leichtigkeit allen Spielfreunden nahe, es auf diese Weise einmal zu versuchen. Wer gesehen hat, wie faszinierend einfach eine Mauer gespielt werden kann, die einem vor dem Tode verzweifelt Fliehenden den Zugang zum Schloß versperrt und ihn schließlich unter sich begräbt, weiß, welches Spielpotential hier freigesetzt wurde.

Die intensive Körpersprache, gepaart mit entsprechender Mimik und Gestik, wurde unterstützt von einer eindrucksvollen Bühnenmusik, die auf das Spiel reagierte und es begleitete, interpretierte oder verdeutlichte. Mit Geige, Klavier, Gitarre und Baß wurden Klänge erzeugt, die Todesangst, Verzweiflung und Ausgeliefertsein dem lebenslustigen, höfischen Treiben gegenüberstellten, die den oft komisch ausgespielten Episoden den als Botschaft intendierten tragischen Ernst unterlegten.

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Frank Herdemerten
Dokumentation zum 13. Theatertreffen der Jugend in Berlin, 1992


Die Maske des roten Todes - Festivalkritik
Faszinierend würde ein gewisser Herr Spock aus einer bestimmten Fernsehserie zu dieser Aufführung gesagt haben.

In einer Eigenproduktion nach der literarischen Vorlage von E. A. Poe zeigt die Kreuzberger Gruppe " The Wild Bunch " alles, was Theater interessant macht. Die Kurzgeschichte " Die Maske des Roten Todes " auf solch eine spannungsreiche Art und Weise aufzuarbeiten, verdient meine Bewunderung.

"Lange schon hatte der Rote Tod das Land verheert. Nie war eine Seuche so verderblich, so widerwärtig gewesen. Blut war ihr Zeichen und ihr Siege] die Röte und Fruchtbarkeit des Blutes. Zuerst stellten sich heftige Schmerzen ein; ein Schwindelanfall folgte, und Blut ergoß sich im Übermaß aus allen Poren bis zur Auflösung. Die scharlachroten Flecke, die besonders auf dem Antlitz des Opfers hervortraten, waren der Bannfluch der Pest: wer sie hatte, war vom Mitleid und von der Hilfe seiner Mitmenschen ausgeschlossen. Und Ausbruch, Verlauf und Ende der Krankheit waren das Werk einer halben Stunde." Bei wem ergeben sich bei diesen Worten keine Assoziationen zu AIDS?. Es ist also keinesfalls so, daß das Stück keine Bezugspunkte zur heutigen Zeit beinhaltet, wie ein Jugendlicher es während des "Schlag - AB - Tausches " feststellte.

Die ganze Geschichte tritt während des gesamten Stückes in den Hintergrund. Stattdessen wird gespielt. Jede einzelne Rolle wird von den Schauspielern voll ausgefüllt. Dabei hat die Sprache eine geringere Bedeutung, als die expressive Körpersprache, mit der alle Personen karikiert werden.

Während der gesamten Aufführung wurde deutlich wie die Gruppe harmoniert. Sehr interessant war auch das Zusammenspiel zwischen Musik und Spiel. Durch die oft auf Klangeffekte reduzierte Musik und die Ästhetik der poetisierten Bilder, sowie die ausdrucksstarken Kostüme wird der Zuschauer mit einem Gefühl von Freude und Zufriedenheit, als mit Betroffenheit und Ekel nach Hause geschickt.

Prenzline No. 6 Zeitung des Theatertreffen der Jugend

 


 

Theatertreffen Korbach 1992
Bilanz

In diesem Jahr kann von Ausgewogenheit gesprochen werden:
Das Schultheater war viermal vertreten, ebenso oft das Amateurtheater. Drei Gruppen aus dem Ausland ergänzten das Angebot Belgien, Österreich und die CSFR. Die Gruppen aus Berlin, Frankfurt, Hamburg und Prag bringen großstädtisches Flair, das gibt eine gute Mischung.

Die Aufführungen hatten insgesamt hohes Niveau, bevorzugt wurde das absurde Theater. Der Einfallsreichtum, schwer verständliche Texte einsichtig zu machen, ist beachtlich; auch die Unbefangenheit, mit der Jugendliche an heikle Themen herangehen. Es stellt sich heraus, daß auf der Bühne alles darstellbar ist, wenn die Ästhetik des Theaters nicht verletzt wind. Wichtig ist die Gestaltungsfähigkeit der Spieler. Abstoßende Texte, sexuelle Anzüglichkeiten, Szenen wie Geburt, Koitus, Sexualmord schrecken die Darsteller nicht zurück. Es muß den Spielleitern ein Lob ausgesprochen werden, daß solche Inszenierungen gelingen.

Für Laienspieler haben Kostümfragen und Besetzungsprobleme Einfluß auf Regiekonzepte, vor allem im Schultheater. Daraus ergeben sich interessante Spielideen: Um mehr Spieler zu beschäftigen, werden Figuren vervielfacht, auf geschlechtsbezogene Rollenfixierung wind verzichtet. Der Rollentausch erfolgt aber nicht nur aus Notwendigkeit, sondern wird gezielt eingesetzt.

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Die Theater-AG des Robert-Koch-Gymnasiums, Berlin/Kreuzberg, entwickelt einen eigenen Spielstil. Vorrang haben Mimik und Gestik; durch die Musik entsteht den Spielrhythmus. Spielgrundlage bilden diesmal zwei Kurzgeschichten von E. A. Poe: "Die Maske des roten Todes" und "Das ovale Portrait". Eine einfache Story: Die Pest wütet im Land. Fürst Prospero will sich und einige Auserwählte vor dem Tod schützen und 1äßt das Tor fest verschließen. Für Essen und Trinken und für Unterhaltung ist gesorgt. Aber den Tod bleibt siegreich.

Was den Spielern zu diesem Handlungsgerippe alles einfällt, ist erstaunlich. Angeregt von den Handwerkerszene im "Sommernachtstraum", stellen sich die Gegenstände vor: das Schloßtor, den Kamin, den Thronsessel, Malkasten, Staffelei, Pinsel etc. Und wie damit umgegangen wind! Welch differenziertes Spiel beim Eintritt durch das Schloßtor: Gedränge, Bestechung, weibliche Verführungskunst, Gewaltanwendung, Zurückweisung - das efeugeschmückte Tor zeigt Reaktionen. Köstlich der Kamin, der dem Duft der Speisen nicht widerstehen kann und alles aufrißt, oder der Thronsessel, der unter der Last des fürstlichen Verführers zusammenbricht. Es ließen sich Hunderte Einzelheiten aufzählen, die Spaß machen, aber auch nachdenklich stimmen. Intensives Quellenstudium geht solchen Einstudierungen voraus. An den Blutsturz von Poes junger Frau erinnert das Mädchen in Weiß. Das Bühnengeschehen bekommt Atmosphäre und Timing durch Perkussionsinstrumente; feste Motive sind vorgegeben, Länge und Dynamik variieren.

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Dr Inge Peroutka-Häusler, Korbach

 

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